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Willi Frommberger DIE BRAUNE ERDE

Einführungsvortrag von Dr. Gerhard Kolberg anlässlich der Ausstellungseröffnung in Hürth, 13. Okt. 1985
Willi Frommberger ist Realist. Er findet seine Materialien und Motive, wenn auch nicht sofort sichtbar, in seiner unmittelbaren wirklichen Umgebung. Es ist die Braunkohle, die der Künstler in den Tagebauen um Brühl findet, die er nicht verheizt, sondern unter andern mit Soda zu Bistertinte kocht oder mittels verschiedener Bindemittel für andere Gestaltungsmittel nutzt.

Angeregt von den Strukturen Düsseldorfer Kriegs- und Brandcollagen, aus denen er sich objets trouvées - vorgefundene Materialien - holte, hat Frommberger in den fünfziger Jahren mit realem Feuer gemalt. Schließlich stand er als damaliger junger engagierter Künstler der mit den Naturelementen schaffenden Düsseldorfer Gruppe Zero nahe, die künstlerisch beim Elementaren, bei Null ansetzte.

Auch Frommbergers heutige Kunstwerke sind sichtbar dem Elementaren verpflichtet. Seine Arbeiten reduzieren sich materiell auf die Bildträger Papier, Sackleinen, vorgefundene Astgabeln und natürlich auf den Grundstoff Braunkohle. Dieses scheinbar profane und im wahrsten Sinne des Wortes uralte Material wird von Frommberger mannigfaltig genutzt, dass man allein darüber Bewunderung äußern kann, was in ihm - dem Material und Frommberger - an gestalterischer Kraft innewohnt. Frommberger fördert seine gestalterischen Möglichkeiten mit kreativer Meisterschaft und Erfahrung.

Aquarellartige Papierarbeiten entstehen durch das Gießen von Bistertinte in mehreren komplizierten Arbeitsgängen. Es entstehen großformatige Werke in der gestisch impulsiven Methode des colordripping, die Ende der vierziger Jahre der Amerikaner Jackson Pollock aus der automatischen Schrift der Surrealisten entwickelte. In dieser Tradition stehen auch Frommbergers beidhändig gezeichnete Arbeiten. Bei diesem Gestaltungsakt liegt der Bildträger horizontal auf dem Boden. Wie auch bei dieser Methode spielt in vielen Techniken Frommbergers der Zufall eine große Rolle, wiewohl ein geübter Künstler dieses gestalterische Phänomen zu einem Teil beeinflussen kann. Das Tropfverfahren, die Methode des Gießens, das Streuen von Staub zur Erzielung einer matten Oberfläche oder das Eintrocknen von dicker Bistertinte, das zu pastosen, reliefartigen Trocknungsstrukuren führt, sind Ergebnisse - wie Frommberger es formuliert - von teilweise kontrollierten Prozessen.

Es ist eine Kunst, die in der Tradition eines neuen Realismus steht; eine Kunst, die nicht mehr konterfeit, sondern Dinge und Phänomene der Umwelt auf unmittelbare Weise zum Ausdruck kommen lässt. Es ist nur konsequent, wenn ein Künstler, der so nahe der Natur und Realität steht, auf dem Gebiet der dreidimensionalen Plastik wirksam wird.
Eine große in der Natur gefundene Astgabel trägt einen aufgespannten Nesselstoff, der durch horizontales Schwenken verteilte Bistertintespuren aufweist. Aufgestellt wird diese Skulptur, dem Einfärbevorgang aber räumlich widersprechend, vertikal an der Wand lehnen. Einige kleinere Skulpturen dieser Art tragen in ihren Gabelungen mit Bistertinte eingefärbte Papierverspannungen, wobei Assoziationen an Mangroven und Sumpfgewächse der Urzeit, aus denen in Jahrmillionen Braunkohle entstanden ist, gestattet ist. Ein archaischer Aspekt tritt nicht nur in Frommbergers Plastik aus Ästen und fellartig dazwischengespannten bistergefärbten Nesselstoffen auf - ein Objekt, das an ein vorgeschichtliche Boot erinnert - , sondern es kommt auch viel deutlicher in solchen Arbeiten des Künstlers zum Tragen, die fast in naturkundlicher Weise die Braunkohlewerdung prozessual und gestalterisch nachvollziehen. Auf Seidenpapier aufgelegte Aststücke verbinden sich sozusagen in pastos ausgegossener Bistertinte, die das Papier aufweicht und nach dem Trocknungsprozess alles zu einem Relief erstarren lässt.

Vom Material her sind Frommbergers Kunstwerke Braunkohle-vorgeprägt; doch mit vielen farbigen Nuancen. Denn der geologisch interessierte Künstler sammelt farbige Erdarten, wie rote Ockerfarbe aus dem Deckgebirge des Braunkohlengebietes oder er formt aus lockerem Material phantastische Strudel, die beinah an geologische Formationen und Strukturen denken lassen. Wenn Frommberger Kupfertiefdruckpapier in gekochte Braunkohle taucht oder sensible Abzüge von der Oberfläche der heißen Braunkohleflüssigkeit macht, die Schlieren, marmorierte Linien und Strukturen aufweist, taucht Geologisches auf.
Dieser eigenbestimmte Arbeitsprozess erinnert entfernt an die Ab-drücke von Gegenständen, die Max Ernst als Grattagen und Frottagen in die Bildende Kunst einbrachte. Ein surrealistischer Aspekt ist in diesen Arbeiten Frommbergers latent enthalten, wird doch das kreative und psychologische Assoziationsvermögen des einzelnen durch die phantastischen Strukturen angesprochen.

Diese ist ganz im Sinne von Leonardo da Vinci, der seinen Schülern empfahl, Wolkenformationen und schrundige Mauern zwecks Phantasieanregung zu studieren. Um dem Kunstinteressierten jetzt hierzu die Möglichkeit zu bieten, möchte ich in der Erwähnung und Beschreibung der umfassenden gestalterischen Tätigkeit Frommbergers auf dem Braunkohlebereich innehalten. Erforschen Sie mit Ihren Augen diese aspektreiche Kunst, die nicht nur nach dem Wohin, sondern auch nach dem Woher und Warum fragt. Eine wahrhaft umweltverbundene, fast geologische Spurensicherung zu nennende Kunst.

© Willi Frommberger    Seite drucken   Impressum